andrea witzmann
In einer Reihe unterschiedlicher Versuche habe ich im Laufe des vergangenen Jahres den Nordbahnhof, der dem Aussehen nach Wiens Stadtrand anmutet, fotografiert und mich unter unterschiedlichsten Bedingungen treiben lassen. Einen Sommer noch einmal in der Zeitblase der Kindheit. Im Zelt, am Schotterteich, durch die Tunnel und auf die Bäume. Die uralten Baumriesen werden gefällt, die Geleise entfernt, die Kohlenrutschen zugeschüttet. Jetzt liegen die Fotografien wie Suchbilder nebeneinander; im Frühling noch ein grüner, ausladender den Raum definierender Baum, im Herbst auf den Rumpf gestutzt und jetzt schließlich nicht mehr da. Das Bild einer Baustelle ist uns so vertraut, dass man dem verschwundenen Ort nicht nachhängt, genauso wenig wie abgeschnittenem Haar.
Die rohen Betonblöcke sind massiv und austauschbar, alles Erdreich wird zusammen geschoben. Was nicht begraben werden will, weicht. Verdrängung der Weile, des verwunschenen Gartens in Mitten der Stadt, in eine verpflichtende Geschäftigkeit.
Die Sammlung Nordbahnhof ist die Analyse gestrandeter Dinge: Federn, Schrauben, Samen, Pflanzen, Früchte, Fliesen, Schienen, Maste. Am schönsten ist die braune Kargheit, wenn das Grün nichts verschleiert. Jetzt ist volle Sicht auf das Gelände möglich, ein undirigierter Blick. Grafitti - ein kleiner Schriftzug ohne Anspruch. Belästigt durch das grelle Gezwitscher nur mehr einen alten Hasen. Ausmalbücher ersetzen den verwunschenen Garten und die Wiederkehr in diesen mit passender Farbwahl, uns Antistress versprechend.

Wie oft fährst du mit dem Board auf die Quaterpipe bis das Brett die Füße nicht verlässt? Wie oft führst du deinen Hund über die Geleise bis du ihn begräbst? Wie oft wird es Frühling bis du nicht wieder kommst?

Schnurrt die angespielte Kontrabasssaite unter dem Leitmotiv, entfaltet sich der Entwurf und langsam entsteht ein Bild; mein Bild. So sehe ich es, so kann ich es wiedergeben und in die Erinnerung einschreiben. Die Finger drücken das Metall an den Steg. Feiner cremig klebriger Staub steigt, auf wenn sich der Bogen an der Saite verhakt und der Ton den Raum färbt.
Die Bilder der Serie reihen sich aneinander wie Schaumblasen zu Gischt. Angestoßen sprühen sie durch die Luft, um sich am Fallen zu freuen. Es kann gelingen, ein zeitliches Kontinuum festzuhalten. Wenn Geruch, Farbe und Geräusch einander überlagern und zu schwingen beginnen, ist der Augenblick da, auszulösen. Das Glück stellt sich ein zweites Mal ein, wenn das Bild aus der Dunkelheit taucht. Zum letzten Mal, scheinbar wie zufällig hingegossen, liegt der Aushub gefaltet im Sonnenlicht einem Toten gleich. Eine Weile noch in die alte Form gepresst bevor alles sich neu entwirft.
Von Markierungspunkten lege ich meine Bildblickachsen immer und immer wieder bis das Bild hält und ist.
pictures_death of the selfish giant
pictures_constant
pictures_shifting

andrea witzmann